Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es Dir? (08. August 2024, Die Rheinpfalz)

Wohin mit der Einsamkeit? Und wohin mit dem Schmerz? Dieser existenziellen Fragen verhandelt der vierte Roman der 1965 im Allgäu geborenen Autorin und Performerin Martina Hefter. Die 1961 in Pfronten im Allgäu geborene Autorin, Absolventin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig und seit 1997 dort beheimatet, erhält in diesem Jahr den Großen Preis des Deutschen Literaturfonds. Die Auszeichnung wird ihr auch mit Blick auf ihre Lyrikbände „Nach den Diskotheken“, „Ungeheuer“, „Es könnte auch schön werden“ und „In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen“ verliehen.

In „Hey guten Morgen wie geht es dir?“ begleitet man die Tänzerin Juno Isabella Flock durch den Alltag. Sie geht ihrer prekären Arbeit als freiberufliche Tänzerin und Performerin nach. Das bedeutet: trainieren, Projektfördergelder heranschaffen, Auftritte planen. Schwierig genug. Dazu kommt, dass Juno sich um ihren Mann Jupiter kümmert. Er ist chronisch krank, ohne Chance auf Heilung. Die Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung der beiden kann Jupiter, den Juno so zärtlich wie kumpelhaft Jupi nennt, nurmehr im Rollstuhl verlassen. Dafür, dass Juno für Jupiter sorgt, der als Schriftsteller einem ebenso prekären Beruf nachgeht, bekommt sie 500 Euro Pflegegeld. Alljährlich kommt eine Prüferin von der Krankenkasse vorbei und kontrolliert, ob sich nicht doch etwas an Jupiters Gesundheitszustand verbessert hat.

Da sind also diese Tage, von denen Juno oft nicht weiß, was sie gebracht haben, „meistens immer das Gleiche“. Und dann sind da die Nächte, in denen sie schlecht schläft, weil sie den Strapazen im Grunde nicht gewachsen ist. Wer wäre das auch? In eben diesen Nächten beginnt sie im Internet ihre Gespräche mit Love Scammern, also mit Männern, besser gesagt: Männerprofilen, die sich an Frauen richten, die einsam sind, sich nach Liebe sehnen, in ihrer Verwundbarkeit weich und damit leicht finanziell ausbeutbar werden. Weil Juno zwar einsam, aber alles andere als naiv ist, verstellt sie sich zunächst gegenüber den Scammern, bis sie virtuell Bekanntschaft mit Benu aus Nigeria schließt. Mit ihm entwickelt sich ein Verhältnis, über das sie die Kontrolle zu verlieren droht.

Das Leben mit einem chronisch Kranken, die quasi permanente Bedrohung durch Geldmangel, das Gefühl, aufgrund der eigenen Entscheidungen und dem, was das Leben einem so zufügt, immer draußen zu stehen, nächtliche Chats mit windigen Wesen, von denen sich nicht einmal so genau sagen lässt, wer sie denn nun sind – all das klingt nach einer nicht gerade einladenden und schwer verdaulichen Lesemelange. Und doch hat Martina Hefter ein Buch zur Zeit geschrieben, in einem Ton, der sie als große Künstlerin ausweist.

Kommen wir noch einmal auf die Szene, in der die Dame von der Kasse bei Juno und Jupiter die neuerliche Einstufung vornimmt. Sie klingelt, nimmt Ordner samt Formular aus der Tasche, Punkt für Punkt geht sie den Fragenkatalog durch, bis sie zum Thema Ernährung kommt und Juno die Gerichte aufzählt, die sie irgendwann mal gekocht hat. „Früher“, heißt es an dieser Stelle, denn inzwischen gibt es meistens Haferflocken, Pizzazungen oder Spekulatious. Und dann sagt die Frau: „Sie sind ja beide ganz schön schmal, sagte die Frau. Kochen Sie auch ausreichende Mengen? Pause. Wir sind so geboren, sagte Juno dann. Wir sind schmale Menschen. Ich finde das eigentlich auch ganz schön.“ Eine solche Härte wäre kaum zu ertragen, schlösse Hefter die Szene nicht mit der Beobachtung der Erzählerin, dass die Frau Schuhe trägt, die anstelle einer normalen Kappe vorn am Fuß Zehen nachbilden: „Die dicken Tatzen eines unbeholfenen, rührenden Monsters aus einem Comic“.

Es sind diese mal komischen, nicht selten auch ironischen Spitzen und unverhofften kleinen Pointen, die bei der Lektüre das Absurde dieser Alltäglichkeit in den Blick nehmen, die das Schmerzhafte und Schwierige, das Prekäre und Randständige, das die Erzählerin erlebt, annehmbar macht.

Indem Hefter Lars von Triers Endzeitfilm „Melancholia“ (2011) zu einer Folie des Textes macht, verbindet ihr Roman nicht nur mehrere Medien miteinander, er bekommt neben dem antiken auch einen weiteren gegenwärtigen Hallraum: Seine zentrale Gravitationszentren sind Depression, Tanz – die Flugbahn des Planeten Melancholia wird bei Lars von Trier als Totentanz bezeichnet — und eben der Melancholie, die Sigmund Freud in Abgrenzung zur Trauer als wacher Einsicht in die Realität des Verlustes eines Menschen oder eines Ideals als Nichtanerkennen der Realität eines Verlustes beschrieben hat.

In aller Lakonie, auch in den nächtlichen Chats mit dem Love Scammer, in denen Hefter die chatüblichen Emoticons in Sprache rückübersetzt, zeigt sich, wie klug-entschieden und leise ihre Erzählerin sich zu äußern weiß. Die Verbindung zu Benu zeigt das Elend einer globalisierten Welt und die perverse Passung von über Zeit und Zuwendungsenergie verfügende Männer, die nicht als Repräsentanten einer kapitalistischen Ordnung leben, und Frauen, die sich nach Zuwendung sehnen. Sie muss zerbrechen. Sie zeigt auch, wie trügerisch die Nähe ist, die sich in der digitalen Welt herstellen lässt, wie seifenblasenleicht sie zerplatzt. Man möchte fast verzweifeln und muss es nicht, denn in diesem wahrhaftigen und wendigen Roman stimmt hier ausnahmsweise, was der Blurb auf der Rückseite des Romans verspricht, der von Anne Weber stammt und mit den Worten endet: „solange Martina Hefter erzählt, solange ihre Gedanken so hell das Leben und die Sehnsüchte so heftig sind, kann nichts passieren“.

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